Tszatzikisirtakisouvlakiouzoelegisches
Dramatische Kunde meines Freundes und Griechenlandurlaubers Ing. Döbl erreichte mich dieser Tage:
Alykanas, 7. Oktober im Jahre des Herrn 2013
Sehr verehrter Magister, ich schreibe diese wohl letzten Zeilen im fahlen Schein der einzig mir verbliebenen Kerze, die bereits zu einem Stumpf heruntergebrannt ist, während aus meinem kleinen mechanischen Koffergrammophon „En quittant une ville“ von Charles Trenet dudelt. Ein immer wieder mit der Zunge befeuchtetes, abgebranntes Streichholz und ein abgelöstes Bieretikett dienen mir als Schreibmittel. Draußen rollt der griechische Winter über die nebelverhangenen Gebirgszüge, das Wasser vor meinem Hotelzimmer im zweiten Stock steht meterhoch.
Vermutlich bin ich längst in der griechischen Pampa verendet, so Ihnen diese meine letzte Depesche aus der Ferne zugemittelt wird. Ich möchte aber doch daran zweifeln, dass Ihnen mein Bericht zur Kenntnis gelangt. Die Kommunikationswege arbeiten aufgrund des monsunartigen Dauerregens hier auf Zakynthos nicht mehr zuverlässig. Alle Drahtverbindungen sind ausgefallen. Das Hotelpersonal ist längst über all die verschneiten Berge und hat seine Schäfchen rücksichtslos im Stich gelassen. Strom und Wasser: Fehlanzeige. Die mit dem Kajak erreichbaren Briefkästen werden nicht mehr geleert. Ihre genaue Anschrift kenne ich nicht, daher ist es mehr als unwahrscheinlich, dass diese unadressierte Flaschenpost, über die Klippen hinter meinem Hotel in die unruhig wütende See geworfen, ihr Ziel erreicht. Den Kurierreiter habe ich tagelang nicht mehr gesehen. Das mag am dichten Nebel liegen, vielleicht ist er aber schlicht ersoffen, oder wurde von den vielen hier herumstreunenden Hunden – augenscheinlich grauenvolle Hybride aus Werwölfen, Griechen und Bernhardinern – in Fetzen gerissen.
Magister, nach nunmehr fünf Tagen „Urlaub“ auf Zakynthos, dieser Insel des Teufels, habe ich mit meinem nichtswürdigen Dasein abgeschlossen. Ich möchte keine Wehmut in dies mein Gewort legen, hat sich doch meine von Geburt an feststehende Bestimmung auf wundersamste Art und Weise erfüllt: Mir war immer klar, dass ich in der Fremde sterben würde. Dass dieses Schicksal mit seinen willfährigen Unbilden unvermittelt im Griechenlandurlaub über mich hereinbrechen würde, konnte ich freilich nicht ahnen, als ich frohgemut und voll Lachlustigkeit vor einer Woche in das Flugzeug in Wien stieg.
Bereits am ersten Abend meines Aufenthalts wurden mir die Wassergräben links und rechts der Hauptstraße in Alykanas zum Verhängnis. Beim Versuch, gegen 02:56 am Heimweg von „Buster’s Bar“ die vierte Nebukadnezar-Flasche Ouzo mit meinem iPhone zu entkorken, verlor ich das Gleichgewicht, rasselte fünf Meter tief durch dorniges Gestrüpp und verletzte das linke Sprunggelenk. Unter unmenschlicher Anstrengung robbte ich auf meinen Eckzähnen zurück ins Hotel, wo ich am nächsten Morgen um medizinische Hilfe ansuchte. Statt eines richtigen Arztes wurde mir eine 102-jährige Kräuterhexe aus Alykes beigestellt, die alles dem „bösen Blick“ zuschrieb. Denn nur dieser könne Schuld an meiner Misere haben. Meine Ungläubigkeit und meine Weigerung, der Hexe einen blauen Glasstein als Schutz gegen diesen „bösen Blick“ um wohlfeile 350 Euro abzukaufen, verbesserte meine Lage nicht wirklich. Sie verabschiedete sich mit der Prophezeiung, dass so ein Geizhals wie ich diese Insel nie wieder lebend verlassen würde. Ansonsten sei aber alles halb so wild: Der Knöchel wäre lediglich verstaucht.
Glücklicherweise verschlechterte sich das Wetter an diesem Tage rapide, ansonst mir meine Immobilität natürlich nicht zupass gekommen wäre. So jedoch leckte ich meine Wunden und lauschte dem aufbrandenden und bis jetzt anhaltenden griechischen Schüttregen – verdammt zum dolce far niente in einem Hotelzimmer, das seit Tagen kein Reinigungspersonal mehr gesehen hatte.
Seitdem liege ich also nur so da und humple ab und an auf den Balkon, um Lichtzeichen mit irgendeinem Engländer auszutauschen, der am Berghang vis-à-vis ein ebenso einsames Hotel bewohnt. Wir verstanden uns auf Anhieb – „Buster’s Bar?“ und „Trenches?“ genügten als erster Wortwechsel und Anbeginn einer wunderbaren Ferienbekanntschaft. Er hat sich einige Wirbel gebrochen, ist von der Hüfte an abwärts gelähmt, hofft aber immer noch auf Besserung seines Zustandes. Schließlich habe er um gutes Geld einen blauen Wunderstein gekauft.
Hinunter kann ich nicht mehr: Aus Angst vor Raubüberfällen der überall am Hotelgelände herrenlos herumstreunenden, ausgehungerten und mehr als aggressiven Babykatzen. In meiner Hilflosigkeit könnte ich mich ihrer Rauflust nicht mehr erwehren. Ich ernähre mich von den letzten Resten griechischer Haselnusskekse. Manchmal gelingt es mir, einen der apathischen Singvögel in der Palme vor meinem Balkon zu fangen. Das gibt dann für ein paar Stunden aus. Wasser fange ich vom Himmel mit meinen Crocs.
Mein einziger Lichtblick scheint im Moment der Gedanke an Jana, meine Reiseleiterin – Tschechin mit akzentfreiem Deutsch, scharf wie Katzenschiss, lange blonde Haare bis zu einem Hintern, der mir in fiebrigen Nächten wilde Träume bereitet. Ich habe sie zwar seit dem Empfang am Flughafen nicht mehr gesehen, hoffe aber dennoch immer noch linde auf Entsatz. Vielleicht hat wenigstens sie mich nicht vergessen?
Magister, sollten wir uns nicht wiedersehen, hier ein paar letzte Anweisungen für die Zeit nach meinem Tode: Auf meinem Begräbnis (sofern meine sterblichen Überreste jemals überstellt werden) spiele man ein Wienerlied, nur ja keinen Sirtaki. Sirtakis sind ohnehin nur die griechischen „Kalinkas“. Mein VW Polo steht am Flughafen, Ebene 2 (Feuerrot), Sektion E. Der Ersatzschlüssel ist in meiner Wohnung zu finden – direkt im Balsaholztresor hinter dem Jungschaffnerinnenkalender. Trinken Sie ein gutes Bier auf mein Wohl.
Kali nichta,
Ihr Ihnen stets verbundener Freund Ing. Döbl, Alois.
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