Sonntag

„Was sagstn zum Berlusconi?“, fragt mich Lieblingskellner Frantisek pro Forma, als er den Teller abserviert. Das sonntägliche Bruckfleisch und das frisch gezapfte Krügerl haben mich gestärkt, dennoch bin ich antriebslos wie lange nicht.

„Naja – erigiert nicht mehr!“, sage ich teilnahmslos. Dem guten Frantisek ist diese Spitze entgangen – ein weiterer Versuch, die sonntägliche Fadesse in der Alsbachprinzessin aufzulockern, ist kläglich gescheitert. In der Schankstube ist es so leise, man könnte eine Laus furzen hören. Ab und an zerreißt ein Husten, ein Räuspern, das Verschieben eines Bierdeckels die unangenehme Stille. Die Uhr über der Schank zeigt 12:30 und scheint nur mit halber Geschwindigkeit zu ticken. Leere Tische knarzen und knacken – sogar das Holz langweilt sich. Mit nahezu äolischem Getöse rauscht derweil ein 43er vorbei.

„Bald ist Redaktionsschluss für meine Kolumne“, sage ich mit unangemessen lauter Stimme in die Tristesse hinein und die zwei gedankenversunkenen Gestalten an der Schank schrecken eingeschüchtert zusammen.

„Und – worüber schreibst?“, grunzt Frantisek nach gefühlten 10 Minuten. Er scheint ganz mit der Schank verwachsen, formt mit der linken Hand komische Figuren ins Geschirrtuch, während die rechte sein dröges Kinn stützt. Eine rein rhetorische Frage, denn es kümmert ihn überhaupt nicht.

„Ich brauch mal wieder einen Knüller“.

„Soso, einen Knüller. Das hat der Mislivec aus Doudleby im Bezirk Budweis auch immer gesagt. Der was Schmieranski beim Gemeindeblatt war. Und weil in Doudleby herich nie was passiert is hat er sich ganz einfach immer die tollsten G’schichtln ausersonnen. Das is auch immer gut gegangen bis zu dem Tag, ich glaub im 78er Jahr wars, wo er euphorisch im Blattl verkindet hat, dass der Kaiser Franz-Josef den Sommerurlaub in Doudleby verbringen wird.“, erzählt Frantisek gedehnt.

„Denk ich mir. Der war zu dem Zeitpunkt ja schon 62 Jahre tot. Völlig absurd“.

„Des war ned der Grund. Aber 90% der Bürger ham gegen den Besuch protestiert, und damit hat der Schlamastik angfangt. Der Birgermeister hat sich nämlich gleich aufgregt, dass ihm niemand was davon gsagt hat, wo er doch nachm Bierbrauer der wichtigste Mann in Doudleby überhaupt wär. Und dass er nix vom Kaiserbesuch weiß, wenn er herich noch so viel vorbereiten muss, angfangt vom Straßenschmuck, den Begrüßungskindern und dem ganzn andern Firlefanz, hat zu einem regelrechten Eklat gführt. Und die sozialistische Partei hat an Aufstand im Gemeinderat gmacht weils der Meinung warn, der Birgermeister hätt den Besuch vorher mit ihnen besprechen solln.“

„Man fasst es nicht …“

„Die Brauerei hat sogar schon an eigenen Majestätssud aufgsetzt. Und der Mislivec is in Praha-Bohnice glandet, da wos die Verrückten behandeln. Weil der hat von seiner G’schicht nimmer zurückgekonnt. ‚Wenn I jetzt sag, dass das nur erfunden war, is aus mit meiner makellosen journalistischen Reputation‘, hat er gsagt. Und da hat er dann halt noch bissl was dazu gedichtet und schon ham die Ärzte konstatiert ghabt, dass er herich verrückt sein muss und ham ihm eine schöne Schizophrenie attestiert.“

„Verständlich – ich wär wohl zum gleichen Schluss gekommen“.

„Der Dr. Kratky, der was in der Untersuchungskommission war, hat nämlich gmeint: ‚Der Patient leidet an Sinnestrübungen ersten Grades und an Realitätsverweigerung. Die ganz und gar erfundene Annahme, Seine hochgeschätzte Majestät Kaiser Franz-Josef würde auch nur einen Fuß in das Kaff Doudleby setzen, in dem kein anständiger Mensch tot über den Zaun hängen mecht, zeugt von einigermaßen großer geistiger Verwirrung.‘ Und damit war das Schicksal vom Mislivec besiegelt. Also pass herich auf wasd schreibst, Magista!“

„Frantisek, Frantisek – du immer mit deinen tschechischen Geschichten …“, sage ich gequält.

Aber der Lieblingskellner schaut mir mit seinem treuen, unschuldigen Hundeblick so tief in die Augen, dass ich ihm einfach nur abwinke und mich dem nächsten Bier widme.

Zwanzig Minuten bleibt es still, da meint ein Gast unvermittelt:

„Frantisek, eins möchte ich jetzt aber schon noch wissen … isser jetzt dann gekommen?“

„Wer?“, fragt Frantisek gedehnt.

Ich lure über die Schulter und sehe Peppi Schmalz mit gekräuselter Stirn und durchdringendem Blick.

„Na, der Kaiser – wer sonst?“, sagt Peppi.

Das könnte dich auch interessieren …

Eine Antwort

  1. Geil!

    „Magister Zwickel“ heute Abend erst kennengelernt und Lesezeichen gesetzt.

    Hoffentlich habe ich nichts falsch gemacht!? 😉

    Schachtherapeut

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

css.php