Nachtschwärmer
Die Nacht ist bekanntlich nicht allein zum Schlafen da. Ich habe es mir zur Angewohntheit gemacht, das nächtliche Wien dann und wann fußläufig zu durchstreifen, scheint die Zeit zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens doch so etwas wie ein Paralleluniversum zu unserem täglichen Streben und Wogen aufzureissen.
Es mag mir dann so vorkommen, als tauchte ich durch einen unsichtbaren Vorhang in gänzlich andere Lebenswelten ein, deren Tönen und Dahinplätschern mich wieder zur Besinnung kommen lassen: über den Asphalt rauscht die lauthalse Stille der Unverstandenen und dröhnt in meinem Kopf; Hunde überqueren die Straßen diagonal; in Häusern wird geschlafen, in Backstuben gebacken. In dunklen Winkeln versuchen Existenzen verzweifelt, sich neu zu definieren. Oft bleibt nur die Hoffnung und die Aussicht auf eine weitere durchwachte Nacht – die Tage vergehen allzu langsam im Wechsel von Schlaf, Kopfschmerzen und Perspektivlosigkeit.
Ich spreche von Nachtmenschen – Nachtexistenzen – die dem Leben am Tage mit all seinen Implikationen nichts mehr abgewinnen können. Es sind dies gänzlich andere Menschen, als jene die man untertags, gefangen im Alltagstrott, gehetzt und enttäuscht von der Schnelllebigkeit der Zeit, in Straßenbahnen, auf Bahnhöfen oder in Supermärkten trifft. Sie suchen ihr Heil in dieser großen Zeitlupe, in der Szenerie jener beruhigenden Dunkelheit, die keine Vorschreibungen macht. Die Nacht hat für solche Leute etwas angenehmes, mag alleine schon durch die geheimnisvolle, fast mystische Geräuschkulisse zu gefallen, und bietet Bühne für die eigene Projektionswillfährigkeit.
Wenn ich, beseelt von diesen grundlegenden Gedanken, die ja letztlich doch nur auf Vermutungen beruhen, die mehr oder minder ausgestorbenen Straßen entlangschlendere, fühle ich mich den mir begegnenden Menschen ganz nahe: es ist diese Verbundenheit zu einem fremden Menschen, die sofort entsteht wenn man hinter dessen Existenz die eigene befürchtet.
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