Ganz egal, ob Schwarz, ob Weiß (2)
Lumpi hat seinem Vater eine Packung Schnapskarten gefladert. Die braucht er, um unsere Fahrräder aufzufrisieren. Mit jeder Menge Tixo werden die Karten derart am Rahmen befestigt, dass sie beim Fahren über die Speichen knattern. So hören uns die Tischtennispensionisten schon von weitem, wenn wir uns unserer neugewonnenen Enklave nähern. Lumpi und ich sind zäh geworden. Das tägliche Hin- und Hergewusel am Tischtennistisch tut unseren Körpern gut, und das ständige Verlieren bringt uns mehr bei, als jeder Religionsunterricht. Und wir werden besser. Aus den anfänglichen 21 zu 2 und 21 zu 5 werden bald 21 zu 17, 21 zu 19, oder gar ein ehrenhaftes 25 zu 23.
Eines Tages ist es dann so weit und wir ziehen im Doppel gegen das Ehepaar Fradinger (Willi und Gerlinde) mit 21 zu 16 vom Leder. Nach dem siegreichen Schmetterball, den Lumpi präzise auf die Linie knallt, schauen wir uns fünf Sekunden lang sprachlos an. Es ist nicht nur das Adrenalin, das durch unsere Körper jagt, sondern auch die Erkenntnis, dass wir jetzt hochoffiziell die jüngsten Tischtennispensionisten der Welt sind, die uns Tränen in die Augen treibt. Zur Feier des Tages opfern wir eine halbe Stunde, um im nächstgelegenen Konsum einen riesigen Marmorgugelhupf zu organisieren, den wir uns mit den Fradingers teilen, und das Leben ist richtig gut. Jedenfalls eine Woche lang, dann ändert sich alles.
Die erste Augustwoche. Lumpi und ich sind spät dran, um halb neun sind wir mit Willi und Gerlinde zu einer Revanche für eine superbittere Niederlage vom Vortag verabredet. Im Herzen tragen wir Rache, denn Gerlinde hatte gestern noch über Hüftschmerzen gejammert. Und wir sind zwar die jüngsten Tischtennispensionisten, aber wir sind auch kleine, stolze und garstige Männer, und damit nachgerade verpflichtet, jedes noch so kleine Wehwehchen des Gegners gnadenlos auszunutzen. In Geschwaderformation knattern wir von den Strandbädern kommend Richtung Tischtennis. Unzählige Rasensprenger haben die Luft im Park frisch gemacht, erneut droht ein Tag mit Perfektion.
Dann, wie aus dem Nichts, zerfetzt ein wütendes Bellen und Kläffen und Heulen die Idylle, lauter noch als unser eigenes Schnapskartenstakkato. Ich erschrecke mich fürchterlich und verreiße den Lenker. Gerade noch so bekomme ich eine Vollbremsung hin, ohne mich auf den Asphalt zu legen. Davon hat Lumpi aber wenig, der ungespitzt in meinen Drahtesel hineindonnert. „Du Trottel …“, setzt Lumpi an, dann sieht er, was ich sehe. Der Hund ist winzig. Ein Zwergrattler, wie es sie in Wien wohl hunderttausendfach gibt, aber sein Bellen passt nicht zu seiner Statur. Sein Bellen ist episch, und mir fällt die Weisheit meiner Oma ein, der zufolge es immer die Kleinsten sind, die die Gosche am weitesten aufreißen.
Der Köter liegt, nein – er thront, zu Füßen eines – wie könnte es an einem Montagvormittag im Donaupark anders sein – Pensionisten und bewacht die ganze Welt. In diesem Fall besteht die Welt aber bloß aus einem Freiluftschach. Eine dieser kinderzimmergroßen Installationen mit riesigen Schachfiguren. Die Dame geht mir locker bis zum Bauchnabel. Sowohl der Hundebesitzer, als auch der faltige Lebenskünstler, der ihm gegenüber, auf eine Parkbank gefläzt, über der Stellung brütet, ignorieren das sie umgebende Universum (einen sehr lauten Hund, zwei sehr dämlich dreinschauende Teenager) gründlich. Insgesamt übt das ganze Hund-Schach-Szenario eine sonderbare Faszination auf mich aus. Der Hundebesitzer macht einen Zug – fröhliches Schwanzwedeln; der Gegner macht einen Zug – wütendes Bellen, ärgerlich könnte man meinen. So geht es hin und her, und Lumpi und ich sind von dem Schauspiel völlig gebannt.
Schließlich ein Aufruhr in Zeitlupe. Der Gegner vom Hundemann erhebt sich langsam von seiner Bank, schnappt sich einen seiner Türme, schiebt ihn quer über das riesige Schachbrett und verkündet: „Schachmatt!“ Und Flocki? Anstatt zu kläffen und Radau zu schlagen, schnüffelt er sich zum König seines Herrchens durch, leckt einmal, zweimal an der Figur. Dann hebt er das Bein und tut, was Hunde eben tun. „Sogar der Hund weiß, was du für einen Topfen zusammenspielst!“, lässt der Gegner vom Hundemann süffisant vom Stapel. „Revanche?“, fragt der Hundemann seelenruhig und putzt sich mit einem riesigen Stofftaschentuch die Krankenkassenbrille. „Sowieso!“.
Die Figuren werden neu in Stellung gebracht. Weder das Lackerl am Schachbrett noch der angebrunzte Schachkönig stören irgendjemanden.
Fortsetzung folgt
6 Antworten
[…] Teil 2: Ein Hund brunzt […]
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