Der Flaschengeist. Wunsch #1 (Trotteledition)

Es war einer dieser gloriosen freien Tage im April,  an denen mich die schüchterne Frühlingssonne im verspannten Redakteursnacken massierte, und mir die Nüchternheit dieser Schüchternheit einen dermaßen trockenen Gaumen verursachte, dass mir in meiner Not nichts anderes übrig blieb, als am Ostermarkt rund um die Kalvarienbergkirche Herberge zu suchen. Die Ställe und Krippen mit den Kleinkindern waren besetzt, und so steuerte ich eine der Heurigenbänke an, die, strategisch günstig direkt vor dem Getränkewagen gelegen, einem alten, bieraffinen Schmieranski ein lauschig Plätzchen für Kontemplation, Alkoholgenuss und unausgegorenen Tagträumen bot.

Ich nahm also Platz, und kurz darauf begann die Geschichte, denn ich erstand eine Dose der Privatbrauerei Otto Klinger, deren Produkte am Zebaoth-Standl exklusiv vertrieben werden, und wie wir alle wissen beginnt jede gute Geschichte mit Bier, außer es geht um Gin Tonic, dann beginnt jede gute Geschichte mit Gin Tonic, oder es geht um Krepppapier, dann beginnt jede gute Geschichte mit Krepppapier. Gleiches gilt für Fingerhüte, Tofu und Mohnstrudel, aber wen kümmerts?

Aber gut, liebe Leserin und lieber Leser,  Sie wissen ja: Dieser fantastische Moment, wenn man mit dem schon viel zu lange nicht geschnittenen Fingernagel den Alubügel der Dose leicht anhebt, in die vorgestanzte Sollbruchstelle treibt, und der erste Schaum zwischen Zeigefinger und Daumen hervorbricht – unübertroffen.

So öffnete ich also erwartungsvoll die schön gekühlte Dose und hub zum ersten Schlucke an, als unerwartet, da kaum wahrscheinlich, anstatt des kühlen Hopfennasses ein grünlich-schimmernder, gegen die Hernalser Mittagssonne reflektierender Nebel druckvoll dem Döslein entwich und sich in markanten Spiralen gen Himmel wand.  Es zischte und zeuschte dabei,  dass es eine Freude war, und gurgelte und blubberte, spritzte und spreutzte, und schimmerte dann in noch mehr Farben, also eigentlich mehr als 16 Millionen Farben, außer in Violett (dies sei explizit festgehalten).

Der Nebel kondensierte stärker und nahm langsam Gestalt an, und ich wusste sofort, mit wem ich es zu tun hatte: Einem Flaschengeist (auf diese Idee wären Sie auch sofort gekommen, oder?).

„Oh mein Gott, ist das jetzt etwa ein Flaschengeist? Wenn ja, dann hoffentlich so eine geile blonde Sexbombe wie Jeannie!“, rief ich spontan (dachte aber gleichzeitig: „Das darfst du so nie am Blog schreiben, denn wer verwendet im Jahr 2019 noch das Wort Sexbombe, das ist ein 1960er-Jahre Begriff?)“, und erntete einen vorwurfsvollen Blick der Siesta haltenden,  geschätzt hundertjährigen Zebaoth-Standl-Verkäuferin. Sie verdrehte einmal die Augen, und döste dann wieder über ihren veganen Eierwärmerhäkelarbeiten ein.

„Trottel!“, vernahm ich irgendwo aus dem Off.

„Trottel, Trottel, Trottel“, rief die selbe komische Fistelstimme nochmals hinterdrein. Und nochmal: „Trottel, Trottel, hihihihihhihi!“

„Trottel? Wieso Trottel?“, frug ich, den Grant im Wanst,  schüttelte den Kopf und blickte um mich, von oben nach unten, links, rechts, hinter mir – keine Sau zu entdecken, und doch beschimpfte man mich als „Trottel“.

„Warum, warum. Ist doch klar, du T-r-o-t-t-e-llllll. Kann ich ein Flaschengeist sein, wenn ich aus einer Dose komme, hm? Überleg mal, Vifzack. Du bist ja selten dämlich!“

Und da sah ich ihn auch, den Geist aus der Flasche – äh Dose. Es widerstrebt mir, ihn an dieser Stelle zu beschreiben, um genauer zu sein: Diese Krätzen griff mir österlich in die Eier und meinte, dass sein äußeres Erscheinungsbild wohl kaum Thema einer weitläufigen Erörterung auf meinem Blog sein könne. Auch wenn es nur ein Blog mit durchschnittlich zwei Lesern alle drei Jahre wäre, und ich gedruckt sowieso nichts zu Rande bringen würde, so müsse er sich doch gegen alle Ungezogenheiten versichern.

Ich kann Ihnen also vor dem Hintergrund meiner Eiergesundheit – jetzt gerade zu Ostern ein brandaktuelles Thema – das Aussehen eines Flaschengeistes (der heutzutage auch aus anderen Gebinden kommen kann) nicht hinreichend beschreiben, möchte aber dennoch kurz festhalten, dass er (sie?) weder rosa Pluderhosen, noch Reizwäsche oder gar Garderobe von Peek & Cloppenburg trägt – er hat auch keine Titten und spricht nicht Arabisch. Um es kurz zu machen: Ich darf es einfach nicht verraten. Punkt. Ich darf nicht mal sagen, dass sie eigentlich ein er ist und umgekehrt. Das wäre schon zu viel gesagt.

Wie auch immer: Sie werden meine Überraschung begreifen, dass ich es tatsächlich geschafft habe, einen Flaschengeist, der in einer Dose eingesperrt war, zu befreien. Schließlich ist das wie ein Lottogewinn auf zwei Beinen – ohne Handstand und doppelten Boden, geschweige denn mit Senf und scharf und ohne mit allem!

Ich frug:

„So, also du bist ein Flaschen – äh – Dosengeist? Wie darf ich dich nennen – hast du einen Namen?“

„Naja, also, ja: Ein Flaschengeist, ich gebs zu, machmas nicht so kompliziert du Trottel. Ich darf dich doch schlicht Trottel nennen?  Du bist einfach ein Trottel. Fühlst dich wie einer an, schmeckst, riechst, und furzt wie einer. Und ich bin ein Flaschengeist, jahaaaa, du Trottel. Aber ich bin, wie du in deinem Blog dann auch schreiben wirst, halt jetzt einfach über ein anderes Gebinde zu dir gekommen. In einer Dose. Warum auch nicht? Das kapieren eigentlich viele nicht, dass die Dose das beste Gebinde ist. Blickdicht. Lichtfest. Leicht. Transportabel. Urbillig. Modern, sexy, praktikabel. Wir sind also über die Jahrtausende langsam umgesattelt und haben uns den Zeiten angepasst. Ein paar superalternative Kollegen machen auch in glutenfreiem Tetrapak glaub ich. Aber das ist mir dann doch zu billig, damit kann ich mich noch nicht anfreunden, das ist doch unter dem Niveau eines traditionsreichen Flaschengeistes“, führte der Flaschengeist, der eigentlich ein Dosengeist war, aus.

Kurz lag mir die Frage auf der Zunge: „Gibt es Euch auch in Kapselform?“, aber ich spürte noch die vier Finger…egal…

„Achja, und … nenn mich Ockelnock“, sagte der Dosenheini.

„Aha, Ockelnock, soso. Dachte immer, ihr Typen heißt Napoleon, Wodka oder Obstler. Naja, egal. Also ich habs jetzt echt geschafft – ich hab einen Flaschengeist befreit. In einer Dose Bier. Das klingt abenteuerlich. Und jetzt hab ich drei Wünsche frei, was?“, frug ich skeptisch und ließ die Andeutung eine sardonischen Lächelns um meine Mundwinkel spielen.

Der Flaschengeist, der eigentlich aus einer Dose kam und Ockelnock hieß, schlug sich mit den …. gegen die … und rief: „Trottel, Trottel, Trottel!“

„Wieso bin ich schon wieder ein Trottel?“, frug ich einigermaßen konsterniert. „Es ist doch jedem Kind bekannt, dass man bei einem Geist aus der Flasche drei Wünsche frei hat“.

„Nein, nein, und nochmals nein. Drei? Meinst du, wir sind knausrig? Es sind vier. In Wahrheit sind es vier. Cool, oder? Einer mehr, als jeder, hörst du: JEDER auf diesem Erdball glaubt. Ganze Generationen haben sich überlegt, was sie mit drei Wünschen anstellen würden. Aber es sind vier, vier, vier, vier….“, sagte Ockelnock und lupfte seine ….

„Vier. Aha. Völlig untypisch“, sagte ich. „Mit vier Wünschen kalkuliert kein Schwein. Drei, oder keine. Aber umso besser.“

„Ich sags aber gleich, nicht dass du danach sauer bist: Ja, du Arschloch hast mich jetzt aus der Dose befreit, und ich schulde dir naturgemäß vier Wünsche. Aber bevor du jetzt deine Goschn aufreißt sei dir gesagt, dass es genau drei Ausnahmen gibt, die man sich nicht wünschen kann…“

„Vergiß es, interessiert mich nicht, mein erster Wunsch ist, dass ich unendlich viele Wün…“, haspelte ich, aber da spürte ich schon einen schrecklichen Druck im Schritt.

„Gusch! Ausnahme Nummer eins: Niemand darf sich wünschen, unendlich viele Wünsche zu haben. Das wünscht sich sofort jeder, eh kloar. So schlau simma schon geworden, du Trottel, das spielts seit 636 nach Christus nimmer!“, sagte Ockelnock.

„Verdammt. Ok, dann möchte ich ewig leben!“, schmetterte ich ihm entgegen.

„Sicher?“, frug er, und verzog skeptisch die …

„Klar, warum nicht?“

„Du bist halt schon wieder ein Trottel. Schau, ich erklärs dir. Ein Mensch kann rein physiologisch nicht älter als 120 werden. Was is jetzt, wenn du sowieso erst mit 119 sterben würdest, weil du bist ja Veganer und machst keinen Sport, schaust kein Game of Thrones, trinkst Bier, und bist ein ständig unglücklich verliebter Dauersingle – also lebst du eh quasi ewig. Willst du wegen einem lächerlichen blöden Jahr einen Wunsch verschwenden?“.

Da hatte der Geist natürlich recht. Aber was konnte ich in die Waagschale werfen? Was wünschte ich mir wirklich so sehr, dass ich einen von vier Wünschen, die mir ein Flaschengeist gewährte, in Anspruch nehmen würde?

„Übrigens, das möchte ich schon auch sagen, gell…wenn du dir was wünscht, und du bist damit nicht zufrieden, dann kann ich das nicht rückgängig machen. Da müsstest du halt den nächsten Wunsch dafür einsetzen, klar?“, sagte der Geist.

„Klar“, dachte ich.

„Geist, liebster Ockelnock, jetzt hab ichs!“, schrie ich. „Ich möchte von den GIS Gebühren befre…“

„Gusch! Geht auch nicht. Ausnahme Nummer zwei: Von den GIS Gebühren kann man sich nicht befreien lassen.“

„Verd…“, Sie können es sich denken, was ich sonst noch erwiderte…

Nun galt es, endlich das zu erreichen, was vor mir niemand geschafft hatte: Ich wollte die Frauen verstehen.

„Herr Dosengeist, ich möchte ein schmalziger, kompromissloser Frauenversteher werden. DAS wünsche ich mir!“.

„Gusch, Trottel. Sorry, dass ich so hart zu dir bin. Aber das war Ausnahme Nummer drei…“.

Ich war demoralisiert.

Da erblickte ich meinen Wanst: Jenes über die Jahre angefutterte, in Form massiver Fettschürzen gemaltes Bildnis meiner Zügellosigkeit, das sich um Hüften und Brüste schmiegte, und dessen Ausläufer über meinen Penis bis hinunter zu den Kniescheiben fröhliche Urstände feierte.

Ja, ich war zu fett, hatte mindestens 2,5kg Übergewicht. Mein erster Wunsch sollte dies korrigieren, das war mir jetzt vollkommen klar. Wayne interessiert schon Geld? Wayne interessiert schon Unsterblichkeit? Ich wollte einfach ein geiler Knackarsch werden, das Six-Pack nicht nur im Kühlschrank, sondern unter dem Small-T-Shirt haben, die Herzen der Frauen reihenweise erobern, in ihren wilden Träumen die Hauptrolle, nicht mehr den Dödel spielen

Ich musste schlank werden. Diese neumodischen „Think Bigger“-Initiativen nahm ich als völlig anachronistisch wahr.

„Ockelnock, du Geist aus der Dose, der du mir zu dienen und vier, nicht nur drei, Wünsche zu erfüllen hast: Ich würd bitte gern voll schlank werden“, sagte ich.

„Vollschlank oder voll schlank?“ fragte er.

„Oida, Trottel. Was ist der Unterschied? Voll schlank will ich sein.“

„Sicher?“

„Jahaaaa. Voll schlank!“, insistierte ich.

„Na gut. Piiing! Abrakadabra! Puff! Hui! Buih! Trottel!“.

Zwei Sekunden später war ich nicht voll schlank, aber vollschlank, ich Trottel.

Der Geist in der Dose war ein Arschloch. Aber ich hatte noch drei Wünsche frei. Drei! Nicht zwei…ich Trottel…

 

 

 

 

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