Wie man keinen Beststeller schreibt

Ich habe es geschafft. Nach jahrelangen, jahrzehntelangen, mittlerweile zwei Jahrtausende überspannenden Bemühungen, habe ich mir selbst und meiner Umwelt bewiesen, dass es ein Kinderspiel ist, keinen Bestseller zu schreiben.

Die Chronologie dieser letztlich in mir gefestigten und mich tagtäglich aufs neue beflügelnden Erkenntnis liest sich wie jene uns allen bekannten Erfolgsgeschichten von Menschen, die an allem, vor allem aber an sich selbst, in grandioser Manier gescheitert sind und darob größte Freude empfinden:

1986: Erster Platz für das Essay „Uwe der Igel“ beim Osterschreibwettbewerb der Klasse 3B, Volkschule Hörbranz, Vorarlberg. Meinen Preis – eine Tafel Milka Vollmilch – habe ich, maßlos wie ich bin und bar jeder Vernunft am selben Abend verspeist. Dieses linde Aufblitzen meiner Sorglosigkeit – man könnte auch formulieren: „Diese schrecklich peinliche Carpe-Diem-Mentalität“ – sollte Richtschnur für mein weiteres Scheitern werden. Als Zeichen meines Erfolgs sind Pelikan-Füllfeder und Tintenkiller, mit denen dieses Meisterwerk auf liniertes A4-Papier gebannt wurde, auch heute noch, in Lärchenholz gerahmt und hinter Glas, auf meinem Klo zu finden. Der Originaltext ist während diverser Umzugswirren abhandengekommen, wurde aber vermutlich schon von einem findigen Trödler auf irgendeinem Flohmarkt um viele tausend Euro verklopft. Ich habe mir noch nicht die Mühe gemacht, in der Nationalbibliothek zu recherchieren, bin aber überzeugt, dass dort noch eine Rezension von Marcel Reich-Vranitzky, oder wie der heißt, zu finden ist.

1989: Der erste Zweier auf eine Deutsch-Schularbeit, der erste Zweier überhaupt. Ort des Scheiterns: BG und BRG Baden Frauengasse, Niederösterreich. Ich ziehe mich, zutiefst getroffen, mit einem Six-Pack „Dreh & Trink“ und einer Großpackung „Casali Rumkugeln“ ins einsame Unterholz des Badener Kurparks zurück, lecke meine Wunden und erfresse mir zum ersten Mal einen gepflegten Frustrausch. Die ersten Ränkespiele um Macht, literarische Kompetenz und Beistrichsetzung beginnen mit dem Neid dieser in Gestalt meiner Deutschprofessorin aus der Hölle gestiegenen alten Hexe, die in mir natürlich sofort einen aufkommenden Stern der Literaturszene erkennt und sich für ihr eigenes fehlendes Talent mit Zweiern und schnippischen Kommentaren wie „Na an dir ist auch ein kleiner Karl May verlorengegangen“ an mir rächt.

1991: Wir schreiben Schülerzeitung. Die erste Ausgabe wird direkt in der Schulaula vom Schulwart beschlagnahmt. Frau Hofrat H. behauptet, wir hätten die erforderliche Genehmigung zum Verkauf vorab nicht eingeholt, ich mutmaße allerdings die bewusste Beschneidung der Pressefreiheit, werden doch in einem der aufsehenerregendsten Artikel, die jemals an dieser Schule veröffentlicht wurden, die skandalösen gastronomischen Zustände am Skikurs der zweiten Klassen im Schuljahr 89/90 aufgearbeitet. Meine Rezension des lustigen Taschenbuchs Nr. 51 „König Drachoberts Dukaten“ indes findet einiges Lob bei der Schulbibliothekarin und der Buffetverkäuferin. Sonja D., mein Schwarm, damaliger Grund für alle literarischen Aktivitäten und Muse meiner Träume, die ich an der elektrischen Schreibmaschine zu erobern gedachte, liegt am Erscheinungstag krank im Bett und bekommt von meinen minnesängerischen Aktivitäten nichts mit.

1993: Ich habe meinen ersten PC bekommen und kann nun virtuos die Tasten auf einem mechanischen Keyboard schwingen. Mechanische und elektrische Schreibmaschine werden eingemottet, schließlich habe ich jetzt Word. Ich weiß, dass nun alles besser wird. Klappt es mit der Kreativität nicht – und sonst auch nicht – hilft es bekanntlich immer, die verwendeten Tools zu tauschen. Jetzt schreibe ich den Roman des ausgehenden 20. Jahrhunderts und pfeife schon bald auf Matheschularbeiten und Physiktests. Und tatsächlich: Titel („Im Zwielicht“) und ein Teil des ersten Satzes („Peter erwachte. Sofort darauf…“) gehen mir spielend von der Hand, bis ich beschließe, dass der Plot, den ich mir noch gar nicht ausgedacht habe, einfach zu dünn für etwas wirklich Großes ist. Und allein schon der Name für den Protagonisten: Einfach zu gewöhnlich. Wenn schon, dann möchte ich mit Pauken und Trompeten reüssieren. Lieber noch ein paar Jährchen auf leere Seiten starren, irgendwann kommt der Durchbruch. Mein Talent ist schließlich unschlagbar. Sonja D. geht mittlerweile mit Armin B. aus der 6. Ich gönne ihnen ihr Glück, wünsche mir aber insgeheim, Sonja möge sich eines Tages in den Hintern beißen, wenn sie mich bei der Nobelpreisverleihung in Stockholm im Fernsehen sieht. Das Manuskript dieser tragischen Liebesgeschichte wird zwar verlegt, aber niemals wiedergefunden.

1994: Mit der infamen Lüge, ich würde an einem landesweiten Schreibwettbewerb teilnehmen, lockt mich meine Chemieprofessorin nach Wiener Neustadt zur Niederösterreichischen Chemieolympiade. Ich titriere die Wasserhärte, bestimme ein paar Kat- und Anionen, lese aus meinem Gedichtband „Sonja D. du dumme Kuh“ und werde fünfter von achtundneunzig Teilnehmern.

1999: Beruf hin, Beruf her: Es geht doch um die Berufung. Ideen für mehrere Wahnsinnsmanuskripte schwirren in meinem Kopf herum, aber sie wollen nicht zu Papier gebracht werden. Ich übe auch keinen Druck auf die Ideen aus, schließlich bin ich kein autoritärer Mensch. Von Sonja D. wurde mir erzählt, sie habe Armin B. jetzt geheiratet. Armin B. schreibt unter dem Pseudonym „Jose-Maria Lopez“ erfolgreiche Soap-Operas für das Argentinische Fernsehen. Aber bitte – wenn Sonja meint, dass sie mit so einem Hans-Dampf der Trivial- und Drehbuchliteratur, der nichts Ernstzunehmendes zu Stande bringt auf Dauer glücklich wird – ich möchte dann später nicht einmal sagen müssen: „Ich habs dir ja gesagt!“

2003: Die letzten vier Jahre habe ich an meinen Ideen gearbeitet und sie genüsslich im eigenen Saft schmoren lassen, denn gut Ding braucht Weile. Ich bin noch keine 30 und kann die literarische Welt immer noch im Sturm nehmen. Aber mit diesem Dreckstool Word wird das nichts. Ich habe den Eindruck, dass man als kreativer Schaffender, gerne bezeichne ich mich in diesen Jahren selbst als „Demiurgen“, auf die Bequemlichkeit moderner Technik nicht zurückgreifen darf. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass auch das Schreibhandwerk harte Arbeit ist, die durchorganisiert gehört. Punkt acht Uhr morgens setze ich mich, im grauen Arbeitsmantel, vor meine alte Underwood-Schreibmaschine Baujahr 1928 und höre erst um 16 Uhr wieder auf – nicht mit dem Schreiben, sondern mit dem Nachdenken. Aber es gehört Ordnung in meinen Alltag. Dieser Ordnung wird sich auch irgendwann mein unbestrittenes Talent beugen müssen. Und ein Werkzeugwechsel tut immer gut!

2005: Vielleicht sollte ich Kinderbuchautor werden und aus dem Uwe-Igel einfach was Größeres machen. Das war damals eine verdammt gute Idee, und ich wundere mich, warum ich das nicht weiterverfolgt habe. Ein paar Bier später beschließe ich, das Thema nicht weiterzuverfolgen, denn ich bin zu Höherem berufen. Gegen mich sind Torberg, Bernhard, Musil und Michael Ende nur elende Wichte.

2015:  Die letzten zehn Jahre war ich beruflich einfach viel zu beschäftigt, um die in mir schlummernden literarischen Meisterwerke zu Papier zu bringen. Wer wollte mir daraus einen Strick drehen? Ich habe einen anstrengenden Job mit sehr wenig Freizeit. Klar, würde ich im Lotto gewinnen, könnten ich mich Vollzeit meiner Kunst widmen, dann wäre es einfach, dann würde ich natürlich nichts Anderes mehr machen. Vom Schreiben kann ich keine Rechnungen bezahlen. Bis es soweit ist kaufe ich mir mal einen iMac, schließlich braucht man ordentliches Werkzeug, um seine kreativen Ideen auch umsetzen zu können.

2017: Ich hoffe auf mein Manuskript „Vom Schreiben leben können“, mit dem es rasant vorangeht. Den ersten Satz („Sie möchten also vom Schreiben leben können?“) und den letzten Satz („Dank dir, lieber Leser, kann ich jetzt vom Schreiben leben, schön, dass du dieses Buch gekauft hast“) habe ich schon mal fertig, und da ändere ich auch nicht mehr viel. Den unwichtigen Mist dazwischen schreibe ich im Laufe der nächsten vierzig Jahre fertig. Ich glaube, dass es ein Bestseller wird. Falls nicht, müssen wieder Füllfederhalter und Tintenkiller ran. Flaubert und Goethe hatten ja auch keinen iMac…

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