Der Zitronenpapa

Für Pflanzen hatte ich seit jeher ein gutes Händchen. An jenen Zöglingen unserer wunderbaren Flora, die mir nicht eingingen, oder, offensichtlich von meinem Atem paralysiert, volltrunken vom Fensterbrett fielen, vermochte ich mich zu erfreuen wie ein kleines Buberle im Sandkasten, wenn das garstige Nachbarsmädel die Burg mal nicht brutal unter seinen Füßen in den Erdkern zurückstampft.

Mein Zitronenbaum heißt Emma. Ein Mann braucht im Leben eine Aufgabe. Ich hege und pflege das aufregende Geschöpf daher, als wäre es mein eigen Fleisch und Blut. Emma hat mir meine Mutter gekauft. Auf unseren gemeinsamen Weg gab sie uns Folgendes mit:

„Zwickel, pass gut auf sie auf. Sie ist so gütig, sanftmütig, aber auch ein wenig störrisch und äußerst sensibel. Verständnis und Empathie, hörst du, Bub?“ (Wie meine Stammleser wissen: Zwei meiner herausragenden Eigenschaften)

„Emma, der Zwickel passt gut auf dich auf. Er ist faul, chaotisch, und ein echter Dampfplauderer. Du hast von ihm nichts zu erwarten, dies jedoch ausgiebig. Spiel’ nicht gleich das beleidigte Zitronensorbet, wenn er, bierumwölkt wie zumeist, auf dein Wasser vergisst“

Solcherart mit wohlmeinendem Gewort meiner hochverehrten Frau Mama versehen, hielt Emma Einzug in meinen 70 Quadratmetern Hernals, thront seitdem selbstbewusst auf einem gelben Hocker direkt am Balkon, wächst, gedeiht, duftet, bereitet mir tägliche – man möchte fast sagen – stolze Vaterfreuden. In wilden, herzerobernden Träumen malte ich mir sogleich aus, wie es wohl sein würde, so die ersten sauer-süßen Früchtchen sprössen, und wann ich soweit wäre, diese erstklassige Bioware am Wiener Naschmarkt feilbieten, oder sie kühlen, selbstgemixten Drinks am Balkon zuführen zu können. Wundervolle Träume über Träume über Bäume.

Nichts als schnöde Schäume, denn die ersten Monate geschah – nichts am Baume. Monatelang wollte Emma nicht kalben, werfen, oder wie auch immer man das sonst in der Pflanzenwelt nennt. Ich bin kein Unmensch, und so gestand ich dem Bäumchen selbstverständlich eine gewisse Phase des Eingewöhnens in seinem neuen Habitat zu, obschon ich der Meinung war, das Pflänzelein hätte es bei mir naturgemäß besser, als in den unpersönlichen und schamhaften Schauräumen des Bellaflora, und wenngleich meine Verzweiflung darüber, dass sie mich nicht beschenken wollte, von Tag zu Tag größer wurde, gebar sie mir doch kein einziges noch so verschrumpeltes Zitrönchen. Es galt nun, diverse allgemein bekannte Kunstgriffe der Zitronenzucht anzuwenden, um unser aller Erwartungen an einen Zitrusfruchtsegen letztlich zu befriedigen. Da weder mir noch meinem in diesen Angelegenheiten nur minder bemittelten Bekanntenkreise jene allgemein bekannten Kunstgriffe hinreichend bekannt waren, führte mich der erste Weg in die Zitronenfachliteraturabteilung der Hernalser Bezirksbibliothek, die vor einschlägigem Schriftwerk nur so strotzte, und mir schließlich nach langen Leseabenden, dem ein oder anderen Aha-Erlebnis und vielen, vielen in gelb durchbrausten Nächten vergossenen Tränen ob meiner in der Vergangenheit bewiesenen Stümperhaftigkeit, ein gründliches Basiswissen für einen angehenden Zitronenfachmann zu vermitteln mochte. Ich entwickelte beizeiten einen regelrechten Zitronenbaumfanatismus. Anschließend machte ich irgendeinen Bachelor an der BOKU. Meine Bachelorarbeit mit dem Titel „Die psychologische Situation heimischer Zitronenbaumbesitzer unter besonderer Berücksichtigung ihrer Zitronenbaum-Nullipara“ fand in der Fachwelt zwar wenig Beachtung, wurde dafür aber mit einem glatten „Befriedigend“ beurteilt.

Dreimal täglich spielte ich Emma von nun an romantische, französische Chansons vor. Ich düngte mit einem aus Kalifornien importierten Wundermittel (€ 300/ml), das auf Basis einer von mir entnommenen Gewebeprobe eigens für Emma in den Laboratorien der „All American Lemontree Society“ komponiert wurde, ich wechselte täglich die Glaceehandschuhe, mit der ich Emma an ausgewählten Stellen massierte, ich beschnitt sie meisterhaft mit einem Goldscherchen, das ich auf einer meiner Zitronenerfahrungsreisen auf der Seidenstraße unter größter Lebensgefahr bei einer mongolischen Kräuterhexe erwarb, ich redete ihr gut zu, las ihr Baudelaire, Valèry und Cesare Pavese vor, ich führte sie regelmäßig Gassi, buchte teure Urlaube an der französischen Riviera und in Sanatorien in der Schweiz. Indes – Emma wollte nicht.

Eines Tages erfuhr ich beim Clubabend der „Hernalser Zitronenzuchtfreunde“, wo ich in mehreren Arbeitsgruppen tätig war, und für den ich auch schon international auf einigen Kongressen vielbeachtete Vorträge gehalten hatte, von einem Zitronenbaumwunderheiler aus Ghana namens Oki Motte. Ich buchte kurzentschlossen ein Ticket nach Ghana, und einige Zaubersprüche, eine Hexenverbrennung, mehrere Tieropfer später, und nicht nennenswerte 20000 Euro über dem Kontolimit, war ich in höchstem Maße überzeugt davon, nun alles Menschenmögliche für die Fruchtbarkeit meiner Emma getan zu haben.

Tatsächlich: Wenige Tage nach meinem strapaziösen Ghanatrip erkannte ich ein kleines – interessanterweise limettengrünes – Knubbelchen, das Emma steuerbords erwuchs. Mein Glück stieg ins unermessliche, und ab diesem Zeitpunkt wurde Emma und ihrem täglich größer werdenden Nachwuchs meine ganze Anteilnahme, Liebe und Zuwendung zuteil. Zwar verlor ich wenige Wochen später meine Stellung beim „Hernalser Morgenpostillon“, weil ich in der Mittagpause einen COBRA-Einsatz ausgelöst hatte (eine Kollegin wagte es, vor meinen Augen eine Zitrone in Scheiben zu schneiden, woraufhin ich mich gezwungen sah, hier nicht näher auszuführende Maßnahmen zu ergreifen), aber das kümmerte mich nicht.

Die Zitrone an Emmas Arm wurde von Tag zu Tag, von Woche zu Woche größer und gelber, saftiger, schöner, fantastischer, erotischer, sodass ich dachte, sie müsste bald gebären. Jedoch, es tat sich nichts.

Ein gutes Jahr verging. Der „Hernalser Morgenpostillon“ hatte mich wieder eingestellt, war doch mein wöchentlich erscheinender „Zitronenbaumreport“ zu einem der Garanten für hohe Auflagezahlen geworden. Ganz Hernals schwelgte in einer nie gekannten Zitronenbaumeuphorie, mir wurden Geschenke und Honoratioren aus Politik, Kunst und Wissenschaft ins Haus geschickt, die sich nach Emmas Wohl erkundigten. Das Leben kam mir in jenen Tagen so vorteilhaft gehäkelt vor, wie schon lange nicht mehr. Ich plante die Ernte bis ins letzte Detail: Angefangen beim kalten Buffet für das englische Königshaus und lokale Prominenz, bis hin zu den zwei Fotografen und dem eigenen Postfach für die Glückwunschkarten aus aller Herren Länder, hatte ich nichts dem Zufall überlassen. Ich war ganz Spannung.

Eines Abends in jenen Tagen – ich war nach einem Ausflug in die Shoppingcity, der mir ein neues Paar Cowboystiefel und einen auf Hochglanz polierten Sheriffstern bescherte, in der Alsbachprinzessin eingekehrt, um vor meinem Wiedersehen mit der werdenden Mutter noch ein paar Bierchen zu zwitschern – enterte ich angepfeffert bis Oberkante Unterkiefer, in absoluter Dunkelheit meinen Balkon, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Da geschah die Tragödie: Irgendetwas Pralles zerbarst mit äölischem Getöse zwischen meinen neuen Cowboystiefeln und dem brokatgetünchten Alabasterestrich, auf dem mein Emma-Tempel errichtet war.

Klein Emma, die Frucht all meiner Anstrengungen, war tot. Sie fiel, dem natürlichen Lauf eines Zitronenlebens folgend, von selbst zu Boden, als sie ausreifte, und ich hatte sie im Suff zertreten. Die Sinne und die letzten Reste meines Verstandes wollten mir schwinden. Mein Herz zerbrach mit lautem Klirren in der Hernalser Juninacht.

Zwei Tage später frug mich der Chefredakteur interessiert nach des Zitrönches Wohlergehen.

„Na Zwickel, Sie Glücklichster aller Glücklichen, wann dürfen wir mit Ihrer ersten, selbstgezogenen Zitrone rechnen? Mutter und Kind wohlauf?“

Ich zitterte am ganzen Körper, als ich ihm stolz, doch ohne ihm in die Augen blicken zu können, eine – vorgeblich meine – Zitrone auf einem Samtkissen präsentierte. Ich hatte am Tage nach der Tragödie eine 747 gechartert, sie aus Südkalifornien einfliegen und beim plastischen Zitronenchirurgen ein wenig aufmöbeln lassen.

Bei den anschließenden Ehrungen im Rathaus und auf Twitter kam ich mir ein wenig schäbig vor, zugegeben. Aber ich habe Blut geleckt. Nächstes Jahr versuche ich etwas Neues: Brasilianische Brombeerhecken. Der Kredit bei meiner Hausbank ist aufgenommen, das Sabbatical schon vom Chef genehmigt. Das Vertrauen in mich, den frisch gebackenen Zitronenpapa ist grenzenlos, und das ist richtig so, denn für solche Dinge habe ich ein Händchen. Emma ist mit meiner schnöseligen Dattelpalme durchgebrannt. Ich weine dieser undankbaren Seele keine Träne nach. Soll sie bleiben wo die Zitronen wachsen.

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