Männer in hellblauen Pullovern
(aus dem „Hernalser Morgenpostillon“ vom Sonntag, den 30.11.2014)
Ein Gastkommentar von Dr. Wolfgang A. Schnattergast, Soziologe, VHS Grummelsheim
Die Kulturgeschichte des Menschen fördert bisweilen markante Grundmotive zutage, die innerhalb eines mehr oder weniger weit gefassten Sozialgefüges verändernd und steuernd mit den natürlichen Lebenswelten einer Gesellschaft interagieren, und diese nachhaltig prägen. Als Beispiel sei hier der Minirock angeführt, der schnell von einer himmelschreienden Provokation zum Symbol eines neuen Selbstbewusstseins und Selbstverständnisses avancierte. Zunächst verpönt, und dem irren Erfindergeist eines offensichtlich von Dämonen besessenen Weibstücks zugeschrieben, hat sich der Status Quo spornstreichs ins Gegenteil verkehrt: Im Sinne eines wohlausbalancierten und konstant hohen Testosteronspiegels (mit all den nützlichen Sekundäreffekten auf die Volkswirtschaft) innerhalb der männlichen Bevölkerung, erfuhr der Minirock die Akzeptanz, die ihm von Anfang an gebührt hätte, ja er wurde von Männern an Frauen sogar unbedingt eingefordert. Es geht also nur vordergründig um ein simples Kleidungsstück, um Mode – bei Lichte besehen dreht sich alles um die Neuordnung einer Gesellschaft und die Restrukturierung von Gefühlsgeborgenheit.
Jüngst rückte nun erneut ein Stück Kleidung in den Fokus der Forscher: Der hellblaue Pullover. Eine Studie der Universität von Oxford an 2600 Frauen ergab, dass nur rund 16% aller Frauen Männer in hellblauen Pullovern attraktiv finden. Noch geringer sind die Werte bei anderen abgefragten Attributen:
Geistreich: 3%
Humorvoll: 8%
Erfolgreich: 7%
Kreativ: 2%
Sportlich: 1%
Topwerte wurden hingegen bei folgenden Eigenschaften erzielt:
Schrullig: 87%
Kompliziert: 65%
Arbeitsscheu: 98%
Angeberisch: 56%
Egomanisch: 77%
Hang zu Alkoholismus und anderen Drogen: 99%
Immerhin 23% der Befragten im Alterssegment zwischen 31 und 50 Jahren könnten sich vorstellen, mit einem unbekannten Mann im hellblauen Pullover gemeinsam an einer Straßenbahnhaltestelle zu warten, 45% würden ohne mit den Wimpern zu klimpern die gleiche Luft in einem Raum atmen, 18% würden hellblaue Pullover am Gang grüßen, und zumindest 13% hätten nichts dagegen, von Männern in hellblauen Pullovern nach dem Weg gefragt zu werden, allerdings nur dann, wenn der hellblaue Pullover frisch gewaschen ist und nach Weichspüler mit einer dezenten Frühlingsnote riecht. 76% der Teilnehmerinnen könnten sich nicht vorstellen, mit Trägern von hellblauen Pullovern ein Taxi zu teilen, 53% halten solche Männer für grundsätzlich böse und potentiell kriminell, 35% für soziopathisch und paranoid, 67% für geschmack- und farblos.
In der Schlange einer Supermarktkasse hätten nur drei Prozent ein Problem mit einem Mann im hellblauen Pullover, vorausgesetzt er wartet mindestens zwei Plätze dahinter oder lässt sie vor. Fünf Prozent aller Befragten hatten aufgrund vorbeugender erzieherischer Maßnahmen durch Eltern oder sensibilisierte schulische Einrichtungen bewusst noch überhaupt keinen Kontakt zu Männern in hellblauen Pullovern und streben diesen aktiv auch nicht an. Interessant ist dabei, dass diese Betrachtungen sowohl für Pullover mit normalem, als auch für solche mit V-Ausschnitt zutreffen. Die Machart des Kleidungsstückes an sich, zum Beispiel Materialien (Kaschmir, Baumwolle, Viskose etc.) fielen erstaunlicherweise kaum ins Gewicht. Angemerkt sei der Vollständigkeit halber, dass die Befragung der Kontrollgruppe (1300 blinde Frauen), wesentlich indifferenter ausfiel und nur wenig Aufschluss brachte.
Zunächst mögen uns diese Ergebnisse freilich absurd und völlig abgekoppelt von jedweder Relevanz erscheinen. Wühlt man sich aber tiefer durch die gegenwärtigen soziopolitischen Realitäten, scheinen objektive Fakten diese subjektiven, vom Unterbewusstsein kreierten Wahrnehmungen, durchaus zu untermauern, und ergeben vor dem Hintergrund vieler anderer Faktoren eine stabile Grundlage für weiterführende und fruchtbare Forschungstätigkeiten.
Eine Analyse der (mittlerweile verbotenen) „Interessensgemeinschaft zur Förderung des hellblauen Pullovers im Alltag“ förderte in einem Geheimbericht beispielsweise folgende Fakten zutage:
- Fast jeder dritte Schwerkriminelle hat selbst schon einmal einen hellblauen Pullover getragen, hat Komplizen die mindestens einen besitzen, oder zumindest einmal einen Mann im hellblauen Pullover gesehen
- Die Wahl zum betrunkensten Gast in einem Irish Pub in Wien III. entscheiden regelmäßig IT-Angestellte im hellblauen Pullover klar für sich
- Jeder zweite(!) Single-Mann hat schon einmal ernsthaft erwogen, einen hellblauen Pullover zu erwerben, ohne dabei Schamgefühle zu verspüren
- Fast jede zweite Oberbekleidungsfachgeschäftsangestellte empfindet Männer, die mit hellblauen Pullovern in den Händen während der Rauchpausen an der Oberbekleidungsfachgeschäftskasse auftauchen, als lästig
- Etwa 30% der Männer mit solchen Kleidungsstücken sind übergewichtig, haben ein Universitätsstudium abgebrochen, und/oder mögen Erdnussbuttersandwiches mit Erdbeermarmelade
Rein kulturanthropologisch stehen wir vor einem Rätsel: So wurden weder in den Schriften antiker Hochkulturen, noch in den ersten Jahrhunderten nach Christi hellblaue Pullover oder ähnlich polarisierende Kleiderstücke erwähnt. Ein klarer Hinweis auf ein Tabuthema und die bewusste Mystifizierung eines Kleiderstückes, dem man anscheinend magische oder dämonische Kräfte zuschrieb. Erstmals schriftlich belegt ist der hellblaue Pullover in Heinrich Kramers berüchtigtem Hexenhammer (Malleus Maleficarum), der 1486 erschien. Neben Dämonen und Hexen, thematisiert dieses Grundlagenwerk der Hexenverfolgung, wie wir heute annehmen müssen, auch den hellblauen Pullover:
„…dass die Dämonen, himmelblau bekleidet, mit bestimmten Mondzunahmen die Menschen quälen …“
Der Philosoph Martin Heidegger wandte sich Mitte der 1950er-Jahre gegen eine bewusste Verklärung des hellblauen Pullovers im menschlichen Dasein und sah ihn in letzter Konsequenz als Ausdruck der „kollektiven Kränkung der Menschheit“, ja überhaupt als deren stärkstes Symbol. Als solche sei der hellblaue Pullover wahr- und anzunehmen, gleichzeitig aber auch vehement abzulehnen und zu bekämpfen. Martin Niemöller, evangelischer Theologe, blies ins gleiche Horn, wenn er meinte: „Eher geht eine Camel durch ein Nadelöhr, als dass ein Mann im hellblauen Pullover Socken im Himmel strickt“.
Laut Dr. Sybil Please, Psychologin an der University of California in Berkeley, strahlten Männer in hellblauen Pullovern etwas „Indifferentes“ aus und vermittelten „Unsicherheit“:
„Männer in hellblauen Pullovern machen Angst und lösen Unruhe aus. Man spricht ihnen kategorisch Entscheidungsfreudigkeit ab und verbindet mit ihnen Konfliktscheue und mangelndes Durchsetzungsvermögen“.
Dies sei vor allem in der Tatsache begründet, so Dr. Please, dass Hellblau als reine Kompromissfarbe wahrgenommen würde:
„Kein kräftiges Blau oder heimeliges Schwarz. Irgendetwas zwischen Fisch und Fleisch. Eine einzige Zurschaustellung von Minderwertigkeitsgefühlen“.
Zählt man eins und eins zusammen, müssen wir von einem langsam sich entwickelnden Stigma reden, und nicht mehr rein von einem „harmlosen“ Kleidungsstück. Ich sage daher: Vorsicht! Sprechen Sie keine Herren in hellblauen Pullovern an und steigen Sie nicht zu ihnen in den Wagen. Wenn sie von sich aus auf Sie zukommen, bleiben Sie ruhig und verständnisvoll, zeigen Sie Interesse für ihre Sorgen und Nöte. Besuchen Sie einschlägige Selbsthilfegruppen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Denn Vorurteile sind, trotz all der nicht zu leugnenden Fakten, fehl am Platze.
Lesen Sie nächste Woche im zweiten Teil über den Einfluss von hellblauen Pullovern in der Hamsterzucht, und welchen Stellenwert hellblaue Pullover in anderen Kulturen eingenommen haben:
„Der hellblaue Pullover in Kunst, Tierzucht und Ethik“. Nächsten Sonntag im Hernalser Morgenpostillon.
Neueste Kommentare