Einsparungen
Consultants haben ein schweres Leben. Und ganz unberechtigt meist einen schlechten Ruf. Ich hingegen habe mir im Laufe meiner Karriere die Fama eines konsequent durchgreifenden Krisenmanagers mit dem Blick für die wesentlichen Probleme einer Organisation erworben. Sohin bewege ich mich am glatten Parkett krisengebeutelter Großkonzerne, saniere mit harter Hand und führe im Keller dahingrundelnde Unternehmen wieder in den Olymp der wirtschaftstreibenden Zunft.
Ein Beispiel auf das ich im Besonderen stolz sein kann, ist die Sanierung eines weltweit agierenden IT-Konzerns. Der massive, stetig wachsende interne Kostendruck machte es notwendig, meine Fähigkeiten zum Einsatz zu bringen. Der Konzernchef im ersten Gespräch:
„Zwickel, wir kriegen die Füße nicht mehr auf den Boden. Die Kosten explodieren. Sie müssen Einsparungspotential identifizieren und dann geeignete Maßnahmen vorschlagen. So geht es nicht weiter!“. Er streichelte gedankenversunken über sein güldenes iPhone 5, und füllte mir noch einmal das Glas aus der Magnumflasche Pommery Brut Royal Jahrgang 1987.
„Nennen Sie mich ruhig Magister, Herr Doktor. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind bei mir in besten Händen und ich werde Sie innerhalb kürzester wieder auf die Spar- und damit Erfolgsschiene bringen“. Ich hatte Mitleid mit diesem gebrochenen Menschen vor mir, dessen Gedanken nur dem Wohl seiner Belegschaft und der wirtschaftlichen Gesundheit seines Unternehmens galten. Welch schwere Stunden dieser Mann, dieser bewundernswerte Industriekapitän, auf der Brücke seines vom Sturm gebeutelten Kreuzers durchmachen musste, davon hatte wohl innerhalb seiner Belegschaft niemand die leiseste Ahnung. Dieser Druck! Diese Verantwortung! Diese geile meterhohe Mingvase neben dem Louis XV. –Schreibtisch. Und dann diese Aussicht … auf einen gut dotierten Pauschalvertrag und der Möglichkeit, jeden kleinsten Käsekrainer-Hot Dog mit in die Spesenabrechnung nehmen zu können …
Zwei Tage später begann ich hochmotiviert meine Arbeit. Für mich war völlig klar, wo hier anzusetzen war: Natürlich bei den Mitarbeitern. Auch ohne eingehende Analyse sah ich hier sofort das größte Einsparungspotential. Schon nach den ersten zwei Stunden Kaffeepause wusste ich: sie sind ein Rudel fauler, demotivierter und verschwenderischer Dauernörgler, die dem Unternehmenserfolg, vor allem aber meinem Erfolgshonorar, konsequent im Weg stehen.
Vom Management mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet, lancierte ich die Aktion „Tabula Rasa“: Ich nahm mir die Mitarbeiter zur Brust. Den heiligen Gral der immer noch verbeamteten Belegschaft fasste ich zunächst, aus verständlichen Gründen, nicht an – diesem Problem würde ich in Phase zwei mithilfe meiner altbewährten Streikbrechertruppe aus der Ukraine begegnen.
Am dritten Tag des Großreinemachens erwischte es die ersten, die faulsten der faulsten.
Mitarbeiter Edwin Jablonski bei mir im „Abstimmungsmeeting“:
„Herr Jablonski, mein Eindruck ist: Sie wollen einfach nicht mehr“
„Aber…“
„Alles was sie jetzt sagen, kann nur falsch sein. Wer nicht mehr will, in wem das Feuer nicht mehr brennt, kann niemals Bestandteil unserer erfolgreichen Familie sein. Das sehen Sie doch ein?“
„Aber ich bin doch erst seit zwei Stunden da! Das ist mein erster Arbeitstag!“
„Nein, Ihr letzter. Geben Sie bitte Laptop, Zutrittskarte und Kaffeeautomatenschlüssel bei mir ab. Für Sie ist die Reise hier zu Ende.“
„Ich habe noch gar keinen Laptop bekommen, ich bin erst seit zwei Stunden…“
„Ein Mann mit Ihren Fähigkeiten findet bald mal wieder einen Job, da bin ich mir sicher, auch wenn Sie dies in unserem Unternehmen freilich nur selten unter Beweis stellen konnten“.
„Ich bin fassungslos“
„Das Leben geht weiter. Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit und wünschen Ihnen auf Ihrem weiteren Lebensweg alles Gute“
Auf diese Weise war bald eine Basiskostenreduktion mobilisiert, die sich sehen lassen konnte.
Punkt zwei: Smartshoring. Geschicktes Umverteilen von Personalressourcen in Länder mit günstigerer Kostenverteilung. Zunächst löste ich die Vertrags- und Rechtsabteilung auf. Die entsprechenden Services verlagerte ich in die Slowakei. Da in der Slowakei bekanntlich nur slowakisch gesprochen wird, musste ich mich zusätzlich um notwendige Übersetzungsdienste kümmern. Als günstigste Variante identifizierte ich folgende Lösung:
Ein Übersetzer in Bolivien übersetzt das Vertragswerk vom Slowakischen ins Russische. Ein indischer Übersetzer in Mombasa übersetzt vom Russischen ins Portugiesische. Ein Übersetzer in Südkorea übersetzt vom Portugiesischen ins Französische, das ein Slowake in Ungarn letztlich ins Deutsche übersetzt. Alles in allem brachte diese Servicekette im Vergleich zu einer fix im Unternehmen angesiedelten Rechtsabteilung eine monatliche Einsparung von 150 Euro und das gute Gefühl, Gutes getan zu haben. Die um 800 Prozent gestiegenen Durchlaufzeiten konnte ich aufgrund der getätigten Einsparungen aber locker argumentieren.
Punkt 3: Ich musste der Verschwendungssucht der noch verbliebenen Mitarbeiter Einhalt gebieten. Schnell hatte ich auch hier ein Liebkind gewonnen: Druckbleistifte, die, so hatte es den Anschein, überall herumkugelten. Eine von mir einberufene Druckbleistift-Taskforce, die sich zwei Wochen auf Klausur nach Gran Canaria zurückzog, analysierte mit fiebrigem Eifer den Druckbleistiftverbrauch in unserem Weltkonzern. Das Ergebnis war erschütternd, so erschütternd, dass ich es hier unmöglich veröffentlichen kann.
„Auch Kleinvieh macht Mist!“, predigte ich unablässig meinen Schäfchen.
„Frau Kasulke, wenn ich Sie noch einmal erwische, dass Sie zwei Schreibgeräte auf Ihrem Arbeitstablett abgelegt haben, dann spielts Granada!“.
Selbst vor dem Konzernchef (mittlerweile ein Duz-Freund) kannte ich keine Gnade: „Lieber Freund, in deinem Maserati liegen mindestens 4 Schreibgeräte herum. Drei Einwegkugelschreiber und ein Druckbleistift. Weißt du eigentlich, was das kostet?“. Mit leicht indignierter Miene entfernte der Konzernchef drei der Schreibgeräte, sah zum Schluss aber durchaus ein, welche Verschwendung ich hier aufgedeckt hatte. Er wollte natürlich mit gutem Beispiel vorangehen, der dabei geschossene Selfie (ein lächelnder Konzernchef im Hugo Boss Anzug, einen Druckbleistift in der Hand, im Hintergrund die stimmungsvoll beleuchtete Mittelkonsole des Maseratis) war ein Hit im Firmenintranet.
Damit aber nicht genug: Ich musste natürlich auch am Konzept der Schreibwerkzeuge insgesamt rütteln. Einer weiteren 20-köpfigen Taskforce, die ich, um Einflüsse von außen zu vermeiden, für ein Monat in einem abgeschiedenen Hotel in Monte Carlo unterbrachte, gab ich den Auftrag, den Einsatz von Druckbleistiften im Vergleich zu normalen Bleistiften (inklusive der zusätzlich notwendig werdenden Bleistiftanspitzer und Radiergummis) zu evaluieren.
Der mir anschließend zugemittelte 800 Seiten starke Bericht machte mich wütend: Es ergab sich ein Kostenvorteil von 2 Cent pro Einheit für normale Bleistifte, und das sogar unter Berücksichtigung der neu anzuschaffenden Bleistiftanspitzer und Radiergummis.
„Herrgott, Kinder! Hätten wir das vor zwei Monaten gewusst, hätten wir locker schon wieder 50 Euro eingespart“.
Ich gab Order, die schätzungsweise etwa 300.000 noch im Konzern verbliebenen Druckbleistifte, diese kleinen Kostenfresserchen, sofort aus dem Arbeitsumfeld zu eliminieren. Die einhergehende großangelegte Kampagne mit länderübergreifenden Workshops und Mitarbeiterbefragungen, in der ich den tatsächlichen Bedarf an Bleistiften erheben ließ, war ein voller Erfolg: Wir kauften lediglich 250.000 normale Bleistifte, 125.000 Bleistiftanspitzer und 125.000 Radiergummis als Ersatz für die entsorgten Druckbleistifte. Besonders rührte mich an dieser Stelle, dass sich die Mitarbeiter – wenn auch nach langem Kampf – darüber verständigten, je einen Bleistiftanspitzer und einen Radiergummi gemeinsam nutzen zu wollen. Meine eindringlichen Appelle hatten Wirkung gezeigt, langsam entwickelte sich auch beim „Mann an der Front“ so etwas wie ein Kostenbewusstsein, das ansonst nur Managern gegeben ist.
Nach zwei Jahren war mein Werk getan. Die Abschlussbesprechung beim Konzernchef:
„Zwickel, also ich weiß nicht, was ich sagen soll…“
„Lieber Lutz, sag jetzt nichts, genießen wir den Moment“. Er hatte Tränen der Rührung in den Augen, als ich ihm den viertelseitigen Abschlussbericht und die 5.000 Seiten starke, mit Bleistift handgeschriebene Honorarnote überreichte. Ich hatte das Gefühl: Dies ist der Beginn einer wunderbaren Männerfreundschaft …
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