Subway-Sandwich
Das alte Jahr verabschiedet sich mit einer literarischen Sensation. Lieblingskellner Frantisek durchforstete den Lagerraum der Alsbachprinzessin auf der Suche nach den Neujahrsböllern, die ihm letzten Silvester übrig geblieben waren, und stieß dabei auf bislang unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen des Hernalser Literaturtitanen Peter Schauff-Schauffler, die dieser im Frühling des Jahres 2012 zur Begleichung einer namhaften Rechnung in Zahlung gegeben hatte. Die Tagebücher geben einen tiefen Einblick in den grausamen Allltag des Autors auf der steten Gratwanderung zwischen Irrwitz und Scheitern. Aber lesen Sie selbst.
Montag, recht früh.
Wurde eben von meinem Verleger Blinck angerufen. „Bienen auf meiner Kopfhaut“ entwickelt sich zum Kassenschlager. Zwei beinahe verkaufte Exemplare im zwölften Bezirk und ein Exemplar, das er selbst in einem Cafehaus ausgelegt fand (es wurde dort verwendet, um das Wackeln eines Beistelltischleins zu mildern), geben – so Blinck – Anlass zur Euphorie. Ich war nach diesem Telefonat in Schweiß gebadet, und dieser Schweiß roch nach purem Glück. Werde mir zur Feier des Tages sofort ein Ei kochen.
Montag, nachmittags.
Bin noch immer vollgepfropft mit Glückshormonen. Doch Vorsicht, kein Grund, jetzt träge zu werden! Eben unter der Dusche kam mir bereits eine kleine Inspiration für mein nächstes Werk. Noch kann ich Idee, Inhalt, handelnde Personen nur ahnen, aber soviel ist klar: es wird ums Essen gehen!
Dienstag, abends.
Ein wundervoller Tag liegt hinter mir, an dem mein kreativer Geist unablässig damit beschäftigt war, für das neue Buch eine sensationelle Eingebung nach der anderen zu gebären. Für die primitiven Verrichtungen des Alltags blieb da keine Zeit. Einzig die Zeit für den Weg zu meiner „öffentlichen Schreibstube“, dem Ausflugsgasthaus „Zur Alsbachprinzessin“, konnte ich mir abringen. Und hier sinne ich nun schon über den Titel meines neuen Buches nach. Bislang erfolglos. Werde mir wohl noch einen Absinth bestellen müssen.
Dienstag, noch immer abends, aber wesentlich später.
Ach, du grüne Fee, ich liebe Dich! Auch diesmal hast du mich nicht im Stich gelassen. Noch darf die Welt es nicht wissen, aber dieser, meiner Tagebuchkladde vertraue ich die Sensation um den Titel meines nächsten Buches an. Und auch dem zwei Tische weiter erfolglos kreuzworträtsellösenden Magister Zwickel rufe ich ihn im Überschwang der Gefühle stolz zu: „Mein Penis ist kürzer als ein Subway-Sandwich!“ Ich ernte eine hochgezogene Augenbraue und ein verlegenes Räuspern, aber was weiß der denn schon!
Mittwoch.
Recherche! Das Zauberwort des emsigen Schriftstellers. Eines ist sicher: so kreativ kann der größte Geist nicht sein, als dass es nicht eines akribischen Suchens und Forschens dort draußen im wahren Leben bedarf, um einem Werk die notwendige Authentizität zu verleihen. Da gibt es nichts zu diskutieren. Jämmerlich, das sind all jene, die meinen, es reiche vollends, dieser Tätigkeit ausschließlich mit banalem Durchsurfen des Internetzes nachzukommen. Lächerlich! Aber so einer bin ich nicht, stets segle ich hart am Wind aller Realitäten. Gleich morgen geht es los! Ha, wie geil ich mich fühle!
Donnerstag, nachts.
Ein schwieriger Tag, ein Rückschlag würde ein weniger zuversichtlicher Charakter behaupten. Doch solche Gedanken sind mir fremd. Positiv denken, in allem das Gute sehen, das ist mein schöpferisches Credo, und so fasse ich die Ergebnisse von heute wohlgemut zusammen. Erstens: mein Penis ist tatsächlich kürzer als ein Subway-Sandwich. Zweitens: kleinkarierter Aufruhr und lebenslanges Lokalverbot können die undankbaren Folgen sorgfältiger Vorort-Recherche sein. Werde diese Erkenntnis in meinen Text einarbeiten, sobald ich ihn begonnen habe. Und ich muss es an dieser Stelle leider so derb in Worte gießen: Subway, du hast bei mir ausgeschissen!
Freitag, früher Nachmittag.
Ich schreibe diese Zeilen, während ich in der Notaufnahme des Hanusch-Krankenhauses sitze. Schweiß perlt auf meiner Stirn und ich habe unsägliche Schmerzen im Schritt. Die Schwester von der Registratur wirft mir immer wieder anzügliche Blicke zu, während ich versuche eine Sitzposition zu finden, die mir nicht das Gefühl gibt, in einem glühenden Kohlebecken zu sitzen. Dabei fing dieser Freitag so gut an. Gleich nach dem Aufstehen traf es mich wie der Blitz: Subway, das ist viel zu eindimensional! Nein, ich muss größer denken, umfassender, globaler! Das Grundthema meines Buches gibt doch soviel mehr her! Flugs war ein Schlachtplan ausgearbeitet, wie ich meinen Erzählstrang in eine viel fruchtbarere Richtung lenken kann. Um die Stringenz meiner neuen Idee zu überprüfen musste ich zur nächsten „Kentucky fried chicken“-Filiale. Dort angekommen orderte ich selbstbewusst einen XL-Kübel „Hot chili wings“ und begab mich – klug aus den Ereignissen des gestrigen Tages geworden – auf die Toilette. In dem Moment, in dem ich meine Hose herunterließ, dachte ich noch ganz fest an die aufreibenden Recherchen zu „Bienen auf meiner Kopfhaut“, atmete tief durch und flüsterte noch ein „Der Kunst ihre Freiheit!“ ehe ich mein Gemächt todesverachtend in den „Hot chili wings“ versenkte. Ja, es war heiß, sehr heiß sogar. Und ja: ich werde über einen neuen Titel meines nächsten Buches nachdenken müssen.
Samstag.
Kann mich nicht besonders gut bewegen. Verleger Blinck erkundigte sich via SMS nach den Fortschritten meiner Arbeit, aber ich strafe ihn mit eisigem Nichtantworten. Ich vermisse die Bienen.
Sonntag, spätabends.
Frantisek, seines Zeichens Kellner im Ausflugsgasthaus „Zur Alsbachprinzessin“, ist ein Monster. Weder weiß er zu schätzen, dass ich mich, nach wie vor unter heftigem Juckschmerz im Unterleib leidend, mit kleinen Schritten in dieses Etablissement geschleppt habe, noch würdigt er meine Bemühungen, mit ausgiebiger Hilfe der grünen Fee einen neuen Titel für mein nächstes Buch zu finden. „Negerant!“, brüllt er, während er in dieser Sekunde vor mir steht, „Bei mir gibt’s ka Anschreiben, du hiniger Falott!“ Ja, genau. Falott sagt er. Zu mir, Peter Schauff-Schauffler, dem Mann, der weder Müh noch Leid scheut, um der Welt Großes zu schenken! Ich weiß gar nicht, was mehr weh tut: die Frantisek’sche Kleingeistigkeit oder mein geschundenes Skrotum. Da, Frantisek zieht sich zur Beratung mit diesem Magister Zwickel zurück, auch nur ein weiterer Pseudointellektueller, der die Vorstadtgastronomie unsicher macht. Die beiden flüstern, der Zwickel wirft begehrliche Blicke auf meine Aufzeichnungen und steckt dem Frantisek einen größeren Geldschein zu. So eine bodenlose Frechheit, so eine Infamie! Schon nähert sich Frantisek mir mit den Worten „Herst, Schauffner, gib mir des Heftl und wir san schoarf!“ Zwickel kichert hämisch. Aber was ist das? Schlagartig fällt alle Panik von mir ab, wieder rettet mich die grüne Fee aus höchster Not, ja, der Titel für mein nächstes Buch fährt mir ins Hirn, wie ein göttlicher Blitz. Zu solch Geistesleistung ist nur der wahrhaft Berufene fähig und trotzig schreibe ich meine Eingebung noch hastig aufs Papier, ehe es meinen Pianistenfingern entrissen wird: „Fast Fut“. Ja, das wird dem Blinck auch gefallen.
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