Erasco Dosensuppen sind die Besten, oder: Was sind Fritzi-Haare?
Einmal im Monat nehme ich mir bewusst Zeit, um Kultur zu konsumieren. Man will schließlich nicht vollends am Stammtisch verblöden. Wien bietet in dieser Hinsicht ja hervorragende Möglichkeiten, und ich habe das große Glück, viele bedeutende Künstler, und vor allem solche, die es niemals werden, zu meinem Freundeskreis zählen zu dürfen. In Kategorie zwei fällt mein langjähriger Bekannter, der Tenor Zeyringer. Seit unserem gemeinsamen Triangel-Studium an der Fernuniversität Wroclaw verbinden uns ganz spezielle Bande: Das völlig natürliche und legitime Abhängigkeitsverhältnis eines unbedeutenden Künstlers zu seinem bedeutungslosen Publikum, das von nichts eine Ahnung hat, und ohne dessen Bewunderung der Kulturschaffende keine Kultur nicht schaffen kann. Man könnte dies gegenseitiges geistiges Befruchten nennen, wenn es nicht eine ganz und gar einseitige Sache wäre.
Zeyringers Publikum bin ich. Nur ich. Zeyringer hat mich als Publikum auserkoren. Freilich, in der Regel ist der Weg ein umgekehrter: Man sucht sich die Künstler aus und nicht andersrum. Für Zeyringer spielt dieser althergebrachte Usus keine Rolle – er hält ihn schlicht für altmodisch und – kontraproduktiv:
„Euch Banausen muss man zu eurem Glück zwingen. Ihr habt ja keine Ahnung! Kunst, die ich verkörpere, verkörpert Kunst in einer Unmittelbarkeit, die unmittelbarer nicht sein kann. Auch in ihrer universellen Verkörperung der Unmittelbarkeit, und sogar in der unmittelbaren Verkörperung des Universellen. Sie enthält alles, macht das Unbegreifliche begreiflich, sogar für so einen kulturellen Volldodel wie du es bist. Du hast keine Ahnung. Du bist das Letzte!“, wird er nicht müde zu betonen, wenn er mir im Morgengrauen im Stiegenhaus auflauert, um mir einen seiner Auftritte schmackhaft zu machen.
Gestern war wieder so ein Tag. Ich hatte mich gerade erfolgreich aus dem vierten Stock in den Innenhof abgeseilt, und war fast sicher, den in der Waschküche campierenden Zeyringer abgehängt zu haben, als er sich plötzlich doch vor mir materialisierte und mit einem elektrischen Dosenöffner aufgeregt vor meiner Nase herumfuchtelte.
„Zwickel, heute Abend! Ich spiele die Tomatensuppe in einer neuen Inszenierung von Peter Schauff-Schaufflers Alternativoper ‚Erasco Dosensuppen sind die Besten‘“.
„Zeyringer, ich habe unglücklicherweise heute schon etwas vor. Ich muss für die oberösterreichische Studentin auf Stiege 1 Briefmarken anfeuchten. Sie schreibt in die ferne Heimat und braucht seelischen Beistand. Ich komme nicht. Zumal es Paradeiser, und nicht Tomaten heißt.“
„Keine große Rolle, aber dafür ist sie umso unbedeutender.“
„Schön. Ich würde gerne kommen, aber ich schaffe es heute nicht.“
„Die Tomatensuppe ist glücklich in die Spargelcremesuppe unglücklich verliebt. Unser Couplet zum Schluss ist eine Offenbarung. Die Krönung von fünf Stunden Drama, Leid, Neid, Liebe, Gewinn und Verlust, kunterbunten Mikrowellensittichen und einem gemeinen Leberknödelsuppenkönig. Repressalien gegen Suppenwürfel kommen auch vor. Aus dem Off die ungeheuer furchteinflößende Stimme einer Schwammerl-Packlsuppe, quasi die moralische Instanz.“
„Es klingt sehr interessant, wenn nicht sogar total scheiße, aber ich kann glücklicherweise nicht kommen. Und es heißt Paradeiser, nicht Tomaten.“
„Glücklich unglücklich verliebt, ja, das klingt interessant, nicht? Manchmal fühlt es sich für die Tomatensuppe aber auch so an wie ein unglückliches Glücklich-Verliebtsein, nie aber wie ein glückliches Glücklich-Verliebtsein, oder eine unglückliche Unglücklich-Verliebtheit. Gar nicht fühlt es sich gar nicht an. Es ist ein unglaubliches Spannungsfeld. Eine emotionale Hollywoodschaukel und tiefgründige, künstlerische Aufarbeitung des komplexen Seelenrauschens von Dosensuppen. Unmittelbar und auch im universellen Kontext. Das darfst du nicht verpassen. Unmöglich! Heute wird in Wien Kulturgeschichte gekocht. Und ich bin Teil dessen. Ich erwarte meinen endgültigen Durchbruch. Ich köchle vor Aufregung schon vor mich hin.“
„Zeyringer, ich will ehrlich sein: Suppen sind mir immer zu heiß.“
„Mir auch. Siona Swintje spielt die Spargelcremesuppe. Eine aufstrebende, niederländische Sopranistin mit Spitzmausgesicht, vier verschiedenen Augenfarben, und sehr vielen Fritzi-Haaren. Ihre künstlerische Philosophie: ‘Ab zwanzig braucht jede Frau was hintenrum’. Die ist heiß. Aber sie will nur noch Stückchen. Ein kaum zu umschiffendes Problem für eine durchpassierte Tomatensuppe ohne Einlage wie mich.“
„Ich meinte das anders … und was zum Henker sind Fritzi-Haare? Und hintenrum was?“
„Sprich nicht weiter, ich weiß schon: Spargelcremesuppen sind normalerweise kalt und keine sonderlich emotionalen Suppen. Von der ätzenden Spargelpisse im Da Capo möchte ich gar nicht anfangen. Das wusste schon Sartre, deswegen hat er auch nie darüber geschrieben. Aber diesmal ist das anders. Du musst kommen.“
„Ich habe keine Zeit und komme in keinem Fall. Und was sind Fritzi-Haare?“
„Die burgenländische Briefmarkentussi kann warten“
„Die oberösterreichische Briefmarkentussi. Kann sie nicht. Und ich komme nicht, jedenfalls nicht zum Dosensuppeninferno. Was sind Fritzi-Haare?“
„Spielt keine Rolle. Denn die spiele ja schon ich. DIE Rolle! Wer hat jemals eine Tomatensuppe impersonifiziert? Und dann noch so unmittelbar wie ich. Auch universell. Ich habe mich vollends mit der Rolle identifiziert.“
„Du isst nur noch Dosensuppen? Was sind Fritzi-Haare?“
„Man sieht wieder einmal, dass du keine Ahnung hast. Keine Ahnung hast du. Als ob die Sache mit dem Essen des Essens gegessen wäre. Da steckt viel mehr drin, du Einfaltspinsel! Mit so einer Oberflächlichkeit käme kein Künstler, der etwas auf sich hält, weiter. Jaja, so einfach stellt sich das der kleine Fritzi Zwickel in seiner schauspielerischen Unbedarftheit vor!“
„Ich will es mir gar nicht vorstellen, und apropos Fritzi…“
„Du musst dir nichts vorstellen. Ich erkläre es dir ja. Du hast natürlich keine Ahnung. Monatelange, ja fast tagelang, hab ich mich auf die Rolle vorbereitet. Ich wurde eins mit ihr. Ein hochkünstlerischer Prozess, den du als Laie natürlich nicht nachvollziehen kannst.“
„Was sind Fritzi-Haare?“
„Glaube nur ja nicht, man könnte jede x-beliebige Suppe verkörpern, nur weil man sich die Tomatensuppe ins Repertoire erarbeitet hat. Das ist ein großer Irrtum. Als Nichteingeweihter unterschätzt man das ja völlig“
„Es heißt Paradeiser…und nochmal…die Fritzi-Haare…sind die hintenrum?“
„Man muss eine Tomatensuppe charakterlich natürlich ganz anders anlegen, als zum Beispiel einen Alt-Wiener Suppentopf oder eine Hühnersuppe mit Nudeln. Da gibt es signifikante Unterschiede. Allein schon in Mimik und Gestik. Oder gar die teilweise unterschiedlichen E-Nummern. Von der Komplexität einer Gulaschsuppe auf der Bühne will ich gar nicht reden, das würde deinen Intellekt übersteigen. Hier offenbart sich nämlich das wahre Talent. Du verstehst von all dem selbstverständlich Nüsse!“
„Ich kann nicht kommen.“
„OK. Dann bis heute um 20h in der ‚Kulisse‘“.
„Vergiss es! Ich komme nicht! Schon gar nicht ohne zu wissen, was Fritzi-Haare sind. Das ist mein letztes Wort.“
„Gut, dann bis später“
„Bis später“
Es war großartig. Der erhoffte Reinfall mit Pauken, und einige Trompeten waren auch dabei. Zeyringers Arien „Yes, we can“ und „Cans have feelings, too“ waren von großer Emotionalität getragen, aber ganz schön beschissen interpretiert. Der grausamste Teil: Die Sterilisation der Spargelcremesuppe. Wir feierten den grandiosen Durchfall des Stücks anschließend bis 3 Uhr früh bei Suppe und Wodka im Restaurant „Akropolis“, das, wie der Name schon sagt, feinste indische Spezialitäten offerierte. Zeyringers endgültiger Durchbruch muss warten, auch im universellen Kontext. Der gemeine Leberknödelsuppenkönig hat die Schmach nicht ertragen und das, was von ihm übrigblieb, für noch miesere Zeiten eingefroren. Tja, und was „Fritzi-Haare“ sind, das erfahre ich in der nächsten Inszenierung von Peter Schauff-Schauffler mit dem vielversprechenden Titel „Was sind Fritzi-Haare – oder: Das Drumherum ist hintenrum.“ Die niederländische Spargelcremesuppe spielt die Hauptrolle. Ich freue mich drauf, obschon ich keine Ahnung habe. Von nichts und noch viel mehr als nichts.
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