Hinter den Kulissen und ein bissl davor

Falls das heutige Kleinformat für eines gut ist, dann dafür, dass ich Ablenkung finde, indem ich das vom Doktor Ampelfieber am Vormittag ausgefüllte Kreuzworträtsel korrigiere. Viel mehr ist dem heutigen Tag in seiner Gesamtheit kaum abzugewinnen. Also grinse ich bei „Hauptstadt Frankreichs“ (Antwort: BLUNA) und bin bei „Die Leiden des jungen …“ (Antwort: ZWICKEL) irritiert.
Irgendwann setzt sich Frantisek zu mir an den Tisch. Viel zu tun hat er ja nicht. Er breitet ein nicht wahnsinnig sauberes Geschirrtuch am Tisch aus und faltet es zu einem Dreieck. Einmal, zweimal, dreimal – hochkonzentriert, die Lippen zu einem Schmollmündchen verkniffen, die Wangen beschäftigtrot erinnert er mich an einen Erstklässler, der unter eine vergeigte Hausübung eine noch vergeigtere Zierzeile zu zeichnen hat, in der Hoffnung, die würde alles noch herausreißen. Plötzlich hält er inne.


„Zwickel, du machst es schon wieder!“, zischt er mich an.
„Bitte?“
„Du schreibst schon wieder über mich, als wär ich ein Trottel!“
Eine sauerstofflose Sprachlosigkeit bemächtigt sich meiner. Und ein komisches Gefühl, irgendwo angesiedelt zwischen gruselig und Dancing Stars.
„Du brauchst mich“, fährt Frantisek fort, „gar nicht anschauen, wie einen Autobus. Und überhaupt: das mit dem Geschirrtuch, was soll das? Soll das vielleicht die Handlung vorantreiben? Spannung generieren? Ein Bild im Leser erzeugen? Ha? Zwickel, reiß dich z‘samm!“
Ich sehe mich hektisch in der Alsbachprinzessin um, verzweifelt auf der Suche nach Anhaltspunkten, um die Handlung, wie von Frantisek eingefordert, voranzutreiben. Welche Handlung auch immer. Aber alles was ich entdecke, sind die alten Knacker hinten, neben dem längst verstorbenen Wurlitzer, die beim Tarock bereits zum fünfzehnten Mal „G’stieß a Radl“ verkündet haben. Recht haben sie, denn daheim ist es ja doch nur zum Sterben, dann schon lieber noch ein bissl dahinvegetieren, in der Hoffnung auf den nächsten Farbensolo. Einer der vier, möglicherweise der Allerälteste sieht mich bös an. Sehr bös.
„Weißt du, was mich an deinen G’schichten wirklich nervt?“, sagt Frantisek, „Bei dir is immer alles so superleiwand. Das geht mich wahnsinnig an.“
„Frantisek, ich bitt dich“, begehre ich auf, „glaubst du vielleicht, dass die Leser an der Wirklichkeit, wie sie wirklich passiert, interessiert sind?“
„Da!“, ruft Frantisek aufgeregt, „Wieder machst du mich zum Blöden und dich zum G’scheiten. Das ist lächerlich! Los, änder das!“
„Weißt du, was mich and deinen G‘schichten wirklich nervt?“, sagt Frantisek, „Du bist so ein elendiger Schönfärber. Ein Klischeebedienautomat. Ich finde mich da überhaupt nicht wieder, wenn ich was von dir lese.“
„Frantisek, ich bitt dich“, begehre ich auf, „bringst mir noch ein Krügerl?“
„Viel besser“, sagt Frantisek.
Die Eingangstür öffnet sich, Peppi Schmalz kommt hereingestürmt, im Schlepptau Michael Niavarani.
„Magista“, keucht er, „bist scho beim Schluss, oder hob i no a Tschanz für an geilen Auftritt?“
Gruselig, Dancing Stars, usw, usf.
“Peppi”, rufe ich, “alles in der Ordnung bei dir?”
„Das wollt i dich schon immer fragen, Magista“, Peppi baut sich vor mir auf, Michael Niavarani schaut ihm über die Schulter, schaut auf mich herab, „wieso um Gottswün ‚Peppi‘??“
„Wieso Peppi was?“
„Wieso heiß i Peppi bei dir? In deine G’schichtln?“
„Ähm.“
„I heiß doch Günther!“
„Günther?“
„Jo, sicha!“ Hinter Peppi nuschelt Michael Niavarani irgendwas davon, dass er das alles nicht packen würde, und dass er doch grad am Weg ins Simpl gewesen sei.
„Jo! Günther!“, schreit mich Peppi jetzt an.
„Hm“, ich scheitere daran, die gegenwärtige Realität einzufangen, „und wie noch?“
„Günther!“, sagt Peppi (oder Günther).
„Ja, schon, aber wie noch??“
„Günther!!“, sagt Peppi (oder Günther).
„Günther Schmalz?“, frage ich.
„Na, du Trottl!!!“, schreit Peppi (oder Günther), „Günther Günther!“
„Du heißt Günther Günther?“
„Jo, oba ohne H, du Dolm!“
„Ohne H?“
„Jo, bessa des sofuart aus, sunst drah i durch!“
„Achso, du heißt Günter Günter!“
„Genau, endlich host mi!“
Jetzt ersucht Michael Niavarani die Anwesenden um Aufklärung, wo und warum er hier sei. Er informiert uns, dass das alles hier richtig „fürn Oarsch“ wäre, weil er doch längst im Kabarett Simpl sein müsste, um dort – glaubtsas oder ned, ihr Wappla! – eine Show zu leiten!
„Jessas“, schreit Frantisek, „die Schefinnen wollen doch heute ins Simpl gehen, aber wenn da Zwickel den Niavarani do her in die Alsbachprinzessin schreibst, krieg sicher wieder ich die Fotz‘n!“
„Könnt ich vielleicht eine Frucade bekommen?“, fragt Michael Niavarani, „Oder einen Jägermeister?“
Ich beschließe ad hoq, vom heutigen Abend genug zu haben, werfe einen Fünfundzwanzig-Euro-Schein auf den Tisch und verfüge mich unter allgemeinem Protest an die frische Hernalser Abendluft. Von drinnen höre ich noch einen der Tarockierer lamentieren: „Die alten Knacker hätt er sich sparen können!“, ehe die Türe hinter mir ins Schloss fällt.
Einige Querstraßen weiter treffe ich den viel zu dicken Bürgermeister. Er schwitzt. „Zur Alsbachprinzessin?“, keucht er und packt mich am Revers.
„Schon lang nicht mehr“, antworte ich.

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