Ines (3)
Ein langweiliger Sonntagnachmittag. Gerade habe ich mir eine Hammelkeule auf dem nackten Balkonboden gegrillt und bereite mich darauf vor, angesichts der Hitze entweder spontan zu verdampfen, oder mich auf der Couch liegend langsam zu verflüssigen. Was auch immer passiert: Bald führe ich ein neues, aufregenderes Leben in einem anderen Aggregatzustand, soviel ist sicher.
Da läutet unvermittelt mein Handy. Ich fische es mit der Grillzange vom Balkontisch und streiche mit der Zunge über den Gelee-gleichen Bildschirm. Es ist Ines.
„Hey!“
„Ines! Was für eine zauberhafte Überraschung!“
„Aja? Du klingst irgendwie verändert“
„Brandblase auf der Zunge“
„Achso, deshalb. Sag‘ mal, warum meldest du dich schon wieder nicht?“
„Du weißt ja, dringliche Geschäfte…“
„Blablabla. Ich hab das jetzt langsam satt!“
„Du, wart mal, schräg unter mir im 2. telefoniert die Nachbarin so laut, dass ich dich kaum verstehe“
„Bei mir auch irgendso ein Spinner im Hof. Sieht schrecklich aus der Kerl. Total zerzaust, rennt in Badeshorts rum – bei der Figur. Pffff“
„Also die Schnecke da unter mir ist gar nicht mal so übel“
„Halt die Klappe, ich will von anderen Frauen jetzt nichts hören. Reden wir über uns“
„Über uns, natürlich. Längst fällig“
„Du, ich hab in meinem Leben einiges umgestellt. Paul ist in einem Schweizer Internat und von meinem Mann hab ich mich getrennt…“
„Sacrebleu!“
„Und ich bin umgezogen. In eine schöne neue Wohnung mit Balkon im 17.“
„Aja? Find ich gut. Ich bin auch umgezogen in eine schöne neue Wohnung mit Balkon im 17.“
„Gelber Balkon?“
„Gelber Balkon“
„Vierter Stock?“
„Vierter Stock“
„Soso. Coole Shorts die du da anhast. Die Wampe ist ein wenig unästhetisch.“
Ich winke runter zu Ines in den 2. Stock.
„Dass ich dich nicht gleich erkannt habe…“
Sie winkt zaghaft zurück. Die Freude über unser unerwartetes Wiedersehen steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ich sehe, wie sie einen kräftigen Zug aus einer Flasche Stolichnaya Gold nimmt.
„Wir haben uns halt lange nicht gesehen…“, meint sie verlegen.
Wo Ines Recht hat, hat sie Recht. Wir haben uns, streng genommen, eigentlich noch nie gesehen. Aber jetzt, wo Ines einmal da ist, müssen wir über das alles reden. Über all das, was niemals zwischen uns gewesen ist.
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